Seit sechs Monaten auf Reisen

Ein halbes Jahr sind wir nun schon unterwegs und deshalb möchte ich ein wenig davon berichten, was das neue Leben mit mir macht. Welche ersten Erkenntnisse ich gewonnen haben nach sechs Monaten auf Reisen und ob es weiter geht für uns oder wir schon genug von unserem neuen Vagabundenleben haben.

Zeitgefühl

Eine der ersten Erkenntnisse, die ich gewonnen habe in den letzten sechs Monaten, ist, dass ich nicht mehr in Wochentagen und Wochenenden denke. Jegliches Gefühl für Zeit wurde mit fortschreitender Reise immer weniger. Anfangs, als auch der Kontakt zu Freunden und Familie noch im absoluten Vordergrund standen, war uns wichtig, Rücksicht zu nehmen. Montags keine Bemerkungen zu, wie schön das Leben doch sein kann, zu versenden oder spät Abends nicht so häufig nach Lust auf telefonieren zu fragen. Denn wohl wissend befinden wir uns in einer sehr komfortablen Situation, in der Zeit nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Unsere Freunde und Familie müssen jedoch meist Montag bis Freitag arbeiten und wir haben natürlich vollstes Verständnis, dass auch sie am Wochenende die viel zu geringe Familienzeit voll auskosten möchten.

Uns ist nie langweilig!

Mit der Frage, was macht ihr den ganzen Tag werden wir häufig konfrontiert. Und eins vorweg, uns war bisher noch nie langweilig. Reisen fordert und fördert uns jeden Tag. Es gibt ständig was zu erleben, Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, lokale Spezialitäten auszuprobieren, spannende Touren zu unternehmen oder zumindest den nächsten Reiseabschnitt zu planen. Doch auch auf stundenlangen Auto- oder Busfahrten durch öde Landschaften und langes warten am Flughafen haben in uns bisher keine Langeweile ausgelöst. Es gibt so viel zu entdecken. Und damit nicht all zuschnell eine Phase der Reisemüdigkeit aufkommt, genießen wir sehr gern gemeinsame oder alleinige Bummelzeit, in der insbesondere ich gerade das lesen wieder entdecke. Denn damit keiner übersättigt ist, von allzu vielen Eindrücken, kann jeder von uns sehr gut auch mal mit sich allein sein. Auch das war eine bei mir lang verborgene Leidenschaft, die so kaum noch stattgefunden hatte. Ich war ständig umgeben von Menschen. Im Job immer mit anderen in Kommunikation. Und um daheim allem gerecht zu werden, führte ich fort, was im Büro begann – Termine, Termine, Termine!
Jetzt ist „Ruhe“ und „mit sich sein“ ein Teil unserer neuen Freiheit – wie wunderbar!

So viele freundliche Menschen

Die Leute, denen wir auf der Reise begegnen sind unglaublich freundlich und meinten es grundsätzlich immer gut mit uns. Und dieses Vertrauen in die Menschen, holen wir uns gerade wieder zurück.
Das Vertrauen darin, dass das Leben und die Menschen gut sind, ist die Basis für ein gesundes Selbstbewusstsein und ein glückliches Leben. All unsere Erfahrungen und auch die vielen Berichte aus den Medien und unserem Umfeld, haben großen Einfluss darauf, welches Vertrauen wir grundsätzlich in Andere haben.
Und ein Grundvertrauen zu haben, in sich und Andere bewirkt bei uns eine deutlich positivere Lebenseinstellung. Haben wir aber Zweifel an unser Umfeld, Ängste zu versagen oder keine Anerkennung zu bekommen ist eher weniger Platz für eine positive Lebenseinstellung. Und dann sitzt man fest und findet tausend Gründe, warum die Anderen Schuld sind, an meinem Unglück.
Wir begegnen so vielen Menschen und Familien, die inzwischen ausbrechen, aus ihrem Alltag und mehr vom Leben wollen als Nine to Five (Regelarbeitszeit vieler Angestellter). Und es macht uns sehr große Freude, mit ihnen in den Austausch zu gehen und unter Gleichgesinnten zu sein.

Reisen ist so einfach

Jeder kann reisen! Es ist so einfach und dennoch mit jeder Menge Herausforderungen verbunden. Die aber nicht schwierig oder gar unlösbar sind. Hatten wir erst mal damit angefangen, wurden wir mit jeder neuen Station relaxter und so viel entspannter. Man kann ja zunächst mit einfachen Ländern beginnen. Denn dort konnten wir einfach starten, ohne langwierige Recherchen. Alles ist so easy! Die Infrastruktur ist super und es gibt Reiseführer für jeden Winkel. Wir mussten auch nichts lang im Voraus planen, weder Busse noch Übernachtungen. Mit all den Online-Apps, die uns heute zur Verfügung stehen, fanden wir immer und überall einen Bus oder Zug und ein Zimmer sowieso.
Je flexibler wir sind, um so weniger Planen wir. Und da wir viel Zeit haben, können wir mit dieser sich daraus ergebenen Flexibilität auch noch richtig günstig reisen. Uns geht es mehr um das Erlebnisse sammeln. Wir reisen nicht weil wir irgendwelche Listen abhaken wollen. Und dennoch will ich nicht unerwähnt lassen, dass eine Langzeitreise kein Urlaub ist. Wir leben auf Reisen unseren Alltag. Aber dies ist zumindest bisher und für uns keine besondere Herausforderung. Weil wir uns frei machen, von hohen Erwartungen und großen Erfolgen. Wir wollen einfach nur sein, selbstbestimmt leben und glücklich sein.

Weiter reisen?

Dass Reisen voll unser Ding ist, wir neue Kulturen kennen lernen und außergewöhnliche Orte und traumhafte Natur erleben wollen, hat sich absolut bestätigt. Mit jedem neuen Ort, in dem wir nun sehr viel tiefer eintauchen als in unseren Urlauben zuvor, erschließt sich uns ein ganz anderes Verständnis. Für fremde Länder, anders lebende Menschen, deren Sitten und Gebräuche, der so unterschiedlichen Natur und der Zeit, die wir brauchen, um auch nur ansatzweise zu verstehen, was andernorts so anders ist als in Deutschland.

Je mehr wir gesehen haben, wächst in uns die Gier nach weiteren Orten. Und anfangs haben wir uns immer wieder gefragt, wie man mit jeweils 30 Urlaubstagen in 40 Berufsjahren auch nur im geringsten ein Bild von dieser wunderbaren Welt mit all seinen verschiedenen bunten Orten und Menschen bekommen kann.
Es braucht Jahrzehnte um die ganze Welt zu sehen. Und wenn man alles gesehen hat, müsste man direkt wieder von vorne anfangen, weil sich die Welt heute so schnell verändert.

Wir müssen nichts Neues anschaffen

„Konsum macht glücklich“ das ist ein weit verbreiteter Irrglaube unserer Zeit. Für uns galt das schon sehr lange nicht mehr. Und jetzt auf der Reise kaufen wir nur das Allernötigste und sind glücklicher als je zuvor. Die Anhäufung von Besitz hat uns nur noch belastet und heute ist alles was wir unser Eigen nennen, sehr überschaubar. Denn nicht der Besitz sondern das Erleben hat für uns einen viel größeren Stellenwert. Und verzichten weil man kann, ist nicht das gleiche wie, weil man muss. Um die Dinge, die wir nicht haben, brauchen wir uns auch nicht zu kümmern. Sie können nicht kaputtgehen, verursachen keine Kosten oder brauchen auch keine Pflege. Das fühlt sich für uns nach großer Freiheit an.

Wir brauchen nicht viel und dennoch fehlt es uns an nichts.
Denn mit Sonne und ganz viel Familienzeit ist das Leben so viel schöner!
Diese Reise ist schon jetzt unglaublich und wir sind unendlich dankbar und stolz, dass wir diesen Schritt gewagt haben. Wir freuen uns auf alles, was noch kommt. Sind gespannt auf neue Länder und Kulturen und schauen mal, was sich in Sachen Selbstfindung und persönlicher Entwicklung noch so ergibt. Welchen spannenden Abenteuern wir uns stellen und wem oder was wir begegnen und in welche Richtung unsere Reise uns bringt. Auf jeden Fall haben wir großen Gefallen daran, in der Fremde unterwegs zu sein und gehen davon aus, dass wir noch eine ganze Weile reisen werden.

Wenn Ihr Fragen oder Anregungen habt, könnt Ihr gern direkt hier unten im Kommentarfeld Euer Feedback los werden.

Eure Boboli

 

5 Kommentare
  1. Lisa sagte:

    Hallo Boboli,
    ich finde sehr mutig von Euch was ihr da macht und kann gut verstehen. Ich möchte wenn ich mit meinem Studium fertig bin Geld sparen und dann auch länger auf reisen gehen. Toll, wenn man alle Zeit der Welt hat und so mit ganz anderem Blick seiner Lebenszeit gegenüberstehen kann. Macht weiter, ich bin dabei. Vielleicht brauche ich mal Eure Hilfe, wenn es bei mir in die Planung geht. Schöne Weiterreise!
    Lisa aus Köln

    Antworten
    • Boboli sagte:

      Hallo Lisa,
      danke für Deinen Kommentar und dass Du hier mit liest.
      Melde Dich, wenn wir unterstützen können und sonst weiterhin viel Spaß beim virtuellen mitreisen.

      Liebe Grüße Boboli

      Antworten
  2. Maschinist sagte:

    Hallo Boboli,

    vielen Dank für den Blog und die Berichte!

    Mich würde interessieren, welche Gedanken Ihr euch zum Thema Bildung / Schule für euer Kind gemacht habt und wir Ihr das Thema Freilerner längerfristig seht.

    Wir sind eine mittlerweile komplett aus Dividenden finanziell unabhängige Familie mit zwei Kindern.

    Beide Elternteile drehen sich aktuell trotzdem noch Vollzeit und volle Kanne in Ihren gutbezahlten Hamsterrädern und wir planen aktuell die nächsten Schritte.

    Ein Hauptthema für uns ist in den nächsten Jahren das Thema Bildung/Schule/Standort für die beiden Kinder (7 und 10).
    Ich kenne mittlerweile so gut wie alle deutsche Auslandsschulen in der Welt aus deren Online Auftritten und auch viele andere private Angebote in Spanien/Portugal und co.

    Was mich am Thema Freilerner innerlich abschreckt, ist dass ich meinen Kindern damit gefühlt viel verbauen könnte, das Sie später selbst nicht mehr aufholen können.

    Vielleicht bin ich einfach schon zu sehr institutionalisiert. 😉

    Bei den zumeist US Bürgern, die so etwas umsetzen schwankt das Ergebnis dieses Unschoolings in den Berichten zwischen Himmel und Hölle und es scheint stark eine Typsache zu sein.

    Wie ist das bei euch und sagt Ihr nach mehr als einen halben Jahr nun, dass Ihr das so beibehalten wollt?

    Danke und einen schönen Nachmittag!
    Maschinist / freiheitsmaschine.com

    Antworten
    • Alexander Fischer sagte:

      Hallo Maschinist,

      vielen Dank für deinen Kommentar und den Einblick in eure Situation.
      Gern möchte ich auf einzelne Punkte von dir eingehen.

      längerfristiges Freilernen: Wir glauben, dass sich das Freilernen wirklich entfalten kann, je länger man diese Form des Lernens anwendet. Daher ist es unser Ziel, die Zeit der Schulpflicht in D nicht in Anspruch nehmen zu müssen. Das erste Jahr haben wir ja bereits fast geschafft. 😉

      Freilernen bedeutet für uns, das Interesse und die Lust am Lernen allgemein hoch zu halten. Da geht viel über Motivation, praktische Dinge und individuelle Förderung. Da denken wir nicht an ein Schulgebäude, einen Lernplan, Unterrichtszeiten, Lernfächer usw.

      Das sich Leni durch das Freilernen irgendetwas verbauen könnte, sehen wir überhaupt nicht. Wir kennen sie ja selbst am besten und sehen ihre Entwicklung. Sie hat viele Themen in denen sie sehr begabt ist und auch wie sie lernt, welches Pensum und welche Themen sie interessant sind, beeindrucken uns immer wieder.

      Je länger man Freilerner ist, desto eher geht man später kreative und selbstständige Wege. Das macht uns daher keine Angst und Sorgen, sondern bringt eher eine gewisse Erleichterung mit sich. Was könnten sich denn eure Kinder verbauen? Meinst du sie können keine Ingeneure oder Ärzte werden? Sie können es. Dafür braucht es nur externe Abschlüsse, die du in zahlreichen Ländern, ja sogar in Deutschland, ablegen kannst. Der wirkliche Wille etwas zu erreichen führt dann dazu, dass man sich alles was benötigt wird aneignet. Nicht weil irgendeine Institution es sagt, sondern weil du es selbst wirklich willst.

      Schau doch deinen Blog und alles was du dir aufgebaut hast. Hast du das in der Schule gelernt? Oder hattest du ganz privat das Interesse daran, dir hier etwas aufzubauen. Dann hast du angefangen dich damit zu beschäftigen, zu lernen und bist in die Umsetzung gegangen. Nicht anders funktioniert das bei all den Themen die uns begeistern. Der innerliche Antrieb sorgt dafür, dass wir alles was wir wissen wollen aufsaugen um das Ziel zu erreichen.

      Und das was dich beim Freilernen abschreckt, schreckt uns im Grunde am Schulsystem ab. Massiv sogar. Wir sehen wir viel höheres Potential, dass sich unsere Kinder hier alles im Leben verbauen.

      Und weil du es gerade ansprichst, das Ergebnis bei Unschoolern schwankt zwischen Himmel und Hölle. Meinst du nicht, dass die Ergebnisse in unserem Schulsystem nicht genauso aussehen? Mindestens gibt es hier auch Himmel und Hölle. Wer nicht mitzieht fällt hinten runter. Daher sagen solche Ergebnisse rein gar nichts aus.

      Lieben Gruß
      Boboli

      Antworten
  3. Maschinist sagte:

    Hallo Boboli,

    danke für Deine ausführliche Antwort!

    Wie gesagt sehe ich als Selbstreflexion klar die Gefahr, dass ich nach Uni plus 20 Jahre Hamsterrad selbst schon zu sehr institutionalisiert bin. Und es ist ja auch die „perfekte Entschuldigung“ sich hinter der Schulpflicht der eigenen Kinder „zu verstecken“ um dann bestimmte Dinge von denen man träumt eben auf „später“ zu schieben, wobei später dann niemals kommt.

    Ich wünsche euch viel Erfolg und eine gute Zeit auf eurer Reise und freue mich natürlich weiterhin von euch zu lesen.

    Maschinist

    Antworten

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