Einer unserer sehr starken Beweggründe für das “Aussteigen” und den Start unserer Langzeitreise war auch unsere einzige Tochter.
Insbesondere ich sah meine inzwischen siebenjährige Tochter LeniLou unter der Woche kaum. Nicht selten vergingen auch wenn ich nicht dienstlich verreisen musste sondern nur im Büro in München oder Nürnberg arbeitete, einige Tage an denen ich meine Tochter nicht gesehen habe. In der früh verließ ich das Haus in Herrgottsfrühe, wenn sie noch schlief. Und am Abend war sie bereits im Bett und wieder eingeschlafen, wenn ich heim kam. An solchen Tagen war nicht mal Zeit, ihr eine Geschichte vor dem schlafen gehen vorzulesen. 60+ Stunden-Wochen waren ganz normal. 60 Stunden die Woche nicht verfügbar. Nicht verfügbar für die Dinge, die das Leben lebenswert machen. Um weder einem Hobby nachzugehen, noch mit meiner Familie Zeit zu verbringen oder einen Arzttermin wahrzunehmen.
Und jedes mal wieder zerriss es mir das Herz. Denn das ist “eine Zeit, die nie mehr wieder kommt“. Etwas, was ich nicht nachholen kann. Und etwas, was sich nicht verschieben lässt. Schieben wie meinen Kalenderinhalt. Ich war Meister darin, mit meinen Kalender in ständigem Dialog zu stehen. Der Job hatte mir dies abverlangt. Die Tage waren voll und mussten, um dies zu überstehen, schlichtweg durchorganisiert werden. Und selbstverständlich konnte ich meinem Kalender mitteilen, dass der Donnerstagnachmittag meiner Tochter gehörte. Aber ich möchte nicht, dass meine Tochter ein Kalendereintrag ist. Und nicht selten kam es dazu, dass dieser Eintrag ebenso wie all die anderen zahlreichen Termine ständig umher geschoben wurden. Weil immer wieder etwas vermeintlich wichtigeres in mein privates Zeitfenster rutschte und erforderlich machte, die gesamte Woche neu zu planen. Damit war meine Family-Time irgendwie immer wieder aufs neue ein Kompromiss, der Galaxien von sogenannter Quality Time entfernt war.
Hatte es geklappt, mit einem früheren Feierabend, mussten nicht selten dann doch Arzt- oder Behördentermine erledigt oder Telefonate oder Mails beantwortet werden. Dann war doch wieder nichts mit dem Mama-Tochter-Nachmittag in dieser Woche. Und alle waren enttäuscht. Wie erklärt man das einem kleinen Mädchen und warum eigentlich? Warum ist es normal, so viele Stunden täglich, wöchentlich und ja in unserem ganzen Leben nicht gemeinsam zu verbringen?
Wie viel Zeit haben wir?
Der Tag hat bekanntlich 24 Stunden. Wenn man sich an die von Ärzten und Wissenschaftlern empfohlene optimale Schlafdauer von mindestens 8 Stunden Nachtruhe hält, bleiben nur noch 16 Stunden für sämtliche Aktivitäten zur Verfügung.
Jetzt nehmen wir das Beispiel einer Vollzeittätigkeit, also 8 Stunden Arbeit plus Pause plus Arbeitsweg, kommt man auf ca. 10 Stunden Abwesenheit. Bleiben schon nur noch 6 Stunden für Privatleben, aber nicht gleich Freizeit. Oder zählen Arztbesuche, Behördengänge ja sogar Einkäufe, Haus oder Wohnung putzen, Kind von Kita holen usw. schon zur Freizeit?
Im Grunde ist all das Privatzeit, aber wirklich Zeit für das LEBEN, zur Erholung und im Idealfall zur Inspiration um Neues auszuprobieren oder auch Altgewohntes so richtig zu genießen blieb jedenfalls bei mir kaum.
Und in meinem Fall verringerte sich die viel zu wenige Freizeit noch massiv, weil ich deutlich mehr gearbeitet habe.
Die Frage nach der Zeit kann man mit dem überdenken der täglichen 24 Stunden schnell beantworten. Niemand aber kann Dir sagen, wie viel Zeit Dir tatsächlich bleibt. Unser Zeitkonto lässt sich nicht beeinflussen und auch nicht anderweitig auffüllen Die Zeit eines jeden ist begrenzt. Wie lang uns tatsächlich bleibt, mit unseren Lieben und um die Welt zu entdecken, um Pläne zu schmieden und all die Dinge zu tun, die tatsächlich wichtig sind, kann keiner vorher sagen. Deshalb sollten wir sie für die Menschen und Dinge nutzen, die uns am meisten bedeuten.
Ich habe meinen Job geliebt und niemand hatte mir aufgetragen, derart viele Stunden in ihn zu investieren. Vermutlich machte genau das mir den täglichen Spagat so schwer.
Zu wenig Zeit für uns
Mir kommen die sieben Jahre mit LeniLou vor, als wären sie wie im Fluge an mir vorbei gezogen. War ich daran beteiligt? Ich meine so wirklich, und immer dabei? Ich erschrecke mich, wie viele Stunden dieser Zeit ich und sie nicht beieinander waren und das gleiche gilt für die Zeit mit meinen Mann.
Wie glücklich sind wir, einen passenden Partner in dieser riesigen und verrückten Welt zu finden. Einen Partner der mit mir und in allen Momenten des Lebens durch schöne aber auch schwierige Zeiten geht, und einen der bleibt ganz lange und idealer Weise für immer. Und dann? Dann verabschieden wir uns jeden Morgen, um den Tag, also das Leben getrennt voneinander zu verbringen. Mich wundert überhaupt nicht, dass derart viele Ehen nicht halten. Dass gemeinsame Entwicklung und später dann ein entspannter Lebensabend zwar der Wunschgedanke aller Paare ist. Aber im Alltag den meisten absolut schwer fällt, sich nicht auseinander zu leben und dann den gemeinsamen Lebensabend überhaupt erreichen.
Gewonnen
Unser stärkster Beweggrund für diesen Schritt ist und bleibt die gewollte gemeinsame Zeit. Ich liebe es so sehr, in der Früh meine beiden Lieben zu beobachten, wie sie so langsam wach werden. Mein jahrelang antrainiertes frühe aufwachen hat sich noch nicht aufgelöst. Aber das macht gar nichts. Es wohnt inzwischen in mir eine Ruhe, die ich gar nicht mehr kannte. Den Moment tatsächlich bewusst wahrnehmen, dem Tag eine selbstbestimmte Struktur zu geben und das alles zusammen mit LeniLou und Alex sind das größte Geschenk, dass ich mir mit dem Ausstieg aus meinem geliebten Job machen konnte. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung und dass wir das gemeinsam (er)leben dürfen!
Erinnerung
Ich möchte niemanden belehren, jeder hat für das was er tut seine Beweggründe. Und dennoch denke ich, dass wir viel zu viele Dinge tun, weil es schon immer so war, weil man wem oder was auch immer gerecht werden will, weil wir uns keine Zeit nehmen, alte Gewohnheiten in Frage zu stellen oder weil wir in einer Rolle stecken, aus der es nicht leicht ist, rauszukommen. Es gibt zahlreiche Gründe, die uns hemmen, neue Wege zu gehen und damit ggf. wertvolle Zeit verschenken. Deshalb möchte ich an dieser Stelle mit diesem Beitrag alle pflichtbewussten oder gewohnheitsliebenden Menschen daran erinnern: vergesst nie zu Leben!
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Ich bin nicht krank und hoffe auch, dass keiner meiner Leser ernsthaft krank ist. Und dennoch bin ich mit Fällen plötzlichen und heftigen lebensverändernden Diagnosen mehrfach konfrontiert worden, im eigenen Familien- oder Freundeskreis und manchmal auch in meinem Job.
Konfrontationen, die bei vielen und auch bei mir das eigene Tun und Handeln massiv in Frage gestellt haben. Wartet nicht auf schlechte Ereignisse, sondern hört jetzt in Euch rein. Das Leben ist zu kurz, um all die schönen Dinge auf später zu verschieben oder später dann gar zu bereuen, etwas nicht getan zu haben.
Viele Grüße
Eure Boboli